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Der menschliche Kopf als Einzelerscheinung war einige Jahre das Thema meiner Arbeiten, sowohl in der Bildhauerei als auch später in der Malerei. Der Bericht über ein Minenunglück 1994 in Südafrika, bei dem viele Arbeiter eingeschlossen wurden und umkamen, beeinflusste meine Arbeit dahingehend, dass ich Reihungen von Kopfformen -vertikal und horizontal- entstehen ließ.
Der Aufbau der Arbeiten ist klar durch ein Raster gegliedert. In jedem Feld ein Kopf. Das Gitter oder Raster ist Symbol für Eingeschlossensein, Begrenzungen, zwischenmenschliche Mauern, Isolation, aber auch Schutz-Raum.
Die Materialien und Techniken sind variabel: Pigmente, Acryl, 01, Wachs, Schnüre auf Holz, Leinwand, Pappe und Papier. Es entstehen Arbeiten von einer charakteristisch verhaltenen spröden Farbigkeit.
1998 nahm ich an dem Künstlerinnensymposium 'outside' teil, das im Rahmen des Kunstprojektes „ArTolI" der Psychiatrischen Landesklinik Bedburg - Hau stattfand. Dieses Projekt bezog sich ausschließlich auf Ausseninstallationen und fand art. Auch hier basierten meine Arbeiten auf Gitterstrukturen. Durch das Objet trouve "Spiegelungen" entdeckte ich für mich ein neues Material, den Fliegendraht.
Das fertige Bild, in dem Kopfformen nur noch selten zu finden sind, beziehe ich mit gefaltetem Draht. Dadurch ergeben sich konkave und konvexe Formen, die den Arbeiten Reliefcharakter verleihen. Es entstehen Räume in die der Betrachter blicken kann. Wie ein Kokon umschließt das Drahtgewebe das Bild.
Bei einigen Objekten habe ich zusätzlich unter dem Draht Gazeschichten unterlegt, deren Überlagerungen durch Standortwechsel des Betrachters zu der Illusion von Bewegung führen. In neueren Arbeiten bleibt das Raster erhalten, ist aber nicht mehr sichtbar. Die Offenporigkeit des Drahtgewebes wird mit Gips geschlossen und dient nun direkt als Malgrund. Die Oberflächen sind schrundig, weisen Brüche oder Risse auf und lassen untere Schichten durchscheinen. Sie korrespondieren in dieser Verletzlichkeit mit den Grundgedanken.

Rita Wilmesmeier

     

Rita Wilmesmeier - ‚unendlich'

Die Ästhetik des Alltäglichen wird in Rita Wilmesmeiers neuen Arbeiten zur Perfektion geführt. Ein banaler, alltäglicher Gegenstand, ein Fahrradschlauch, der normalerweise dem Auge des Benutzers verborgen bleibt, wird in fast unveränderter Weise zum Kunstwerk erhoben. Lediglich dadurch, dass die Gummiteile in dünne Streifen zerschnitten werden und in Anlehnung an die Reihungen ihrer "Kopfbilder" in endlos erscheinenden Streifen um einen (Holz-) Kern gewickelt werden, ergeben sich Arbeiten, die in ihrer Schlichtheit die Schönheit des Alltäglichen widerspiegeln. Vertikale Streifen bilden ein subtiles Bildgefüge, welches durch vorhandene Gebrauchsspuren und gezielte Farbaufträge noch verstärkt wird.

In den Arbeiten von Rita Wilmesmeier werden Kriterien des Minimalismus deutlich: die Sensibilisierung für Materialien, Reihung und Ausdehnung sowie der Bezug zu Raum und Licht. Doch nicht alleine die Ästhetik bestimmt den Reiz dieser Arbeiten. Kennt man andere Arbeiten Rita Wilmesmeiers, wird der Zusammenhang sofort deutlich. Die Künstlerin experimentiert schon seit langer Zeit mit verschiedensten Materialien und Bildträgern, wodurch immer wieder Arbeiten von überraschender Lebendigkeit entstehen. Reihungen und Raster gehören zum festen Bestandteil ihrer Arbeiten. Hinter diesen teils strengen Formen steht aber immer der Mensch. Rita Wilmesmeier benutzt hierfür gerne den Begriff "Spuren", da in ihren Arbeiten oft nur noch schemenhaft Portraits oder Fotografien menschlicher Köpfe zu erahnen sind. Ebenso kann man die endlos erscheinenden Wicklungen ihrer neuesten Werke als Spuren deuten, zum einen, weil sie durch Farbe und Stofflichkeit Zeugnis geben von der früheren Nutzung des Materials, zum anderen symbolisieren die Streifen endlose Wege, die sich in der Zukunft verlieren. Die Wicklungen der dünnen Gummibänder, die in exakten Reihungen nebeneinandergesetzt sind, verdecken den eigentlichen Kern der Arbeit. Diese vordergründige Neutralität macht die Arbeiten Rita Wilmesmeiers besonders empfänglich für eigene Interpretationen.

Andreas Beumers, Kunsthistoriker

 

Rita Wilmesmeier - ‚parallel'

Ausgangspunkt der künstlerischen Entwicklung Rita Wilmesmeiers war der menschliche Kopf. Köpfe bilden nun auch wieder in dieser Ausstellung einen Schwerpunkt innerhalb der ausgestellten Werke. Doch zwischen den ersten, 1994 geschaffenen Arbeiten, die sich damals auf konkrete weltgeschichtliche Ereignisse bezogen, und den Arbeiten, die 2006 entstanden und nun erstmals in der Ausstellung ‚parallel" gezeigt werden, stehen zwölf Jahre künstlerischer Entwicklung, die von der Gegenständlichkeit zur konkreten Kunst, ja teilweise zum Minimalismus tendierte und nun wieder eher der abstrakten Kunst zuzurechnen ist. Den roten Faden in Rita Wilmesmeiers Kunst bildet das Raster, das bereits in den frühen Arbeiten einen wichtigen Stellenwert einnahm. Jeder der dargestellten Köpfe war von dem nächsten durch eine klar sichtbare Begrenzung getrennt, man könnte auch sagen: isoliert. Das Raster beinhaltet daher auch für Rita Wilmesmeier eine gesellschaftliche und politische Aussage, die auf Normen, Ausgrenzung, mangelnde Toleranz und zwischenmenschliche Beziehungen hinweist. Auch wenn sich im Laufe der Jahre die Darstellungsweise der Arbeiten Rita Wilmesmeier deutlich wandelte und zeitweise keine oder nur noch sehr entfernte Spuren gegenständlicher Wiedergabe aufwies, blieb das Raster Bestandteil ihrer Kunst. Den Symbolgehalt von Gittern und Reihungen übertrug sie auf eine gegenstandslose Ebene, wodurch eine Sensibilisierung für Materialien, Farben und Formen geschaffen wurde, ohne jedoch die kritische Grundaussage zu verlieren. So entstanden Drahtgewebe, die wie Käfige die Leinwand umschließen, Wicklungen, die das Objekt einzwängen und seit 2001 Oberflächen, die durch Risse und Brüche Verletzlichkeit suggerieren. Eine fast spröde Farbigkeit in Weiß-, Grau-, Schwarz- und teilweise Rottönen unterstreicht diese Tendenz. Viele der Arbeiten von Rita Wilmesmeier haben aber im wahrsten Sinne des Wortes zwei Seiten: durch die Bemalung der Rückseiten mit einer intensiv orangefarbigen Leuchtfarbe scheinen die Arbeiten von einer Gloriole farbigen Lichts umgeben zu sein und werden hierdurch in einen vermeintlichen Schwebezustand versetzt. Die Frage zu Schein und Sein sollte in diesem Sinne auch immer wieder bezogen auf die Kunst Rita Wilmesmeiers gestellt werden. So auch bei ihren neuen Flechtarbeiten aus dem vergangenen Jahr, bei denen miteinander mehrlagig verflochtene Papierstreifen durch eine spezielle Oberflächenbehandlung so verändert wurden, dass die Materialität kaum noch erkennbar ist. Gewohnte Wahrnehmungsprinzipien werden durch wechselnde Materialien und deren oft ungewöhnliche Bearbeitung außer Kraft gesetzt; Sehweisen durch das Spiel von Nähe und Distanz, häufig ausgelöst durch die Umschließung der Arbeiten mit bemaltem Drahtgewebe, in Frage gestellt. Der Bezug zu Raum und Licht wird durch die Tiefenwirkung der Drahtgewebe hergestellt und durch die Auswahl bestimmter, immer wieder vorkommender Farbtöne hervorgehoben. Auf diese Weise entstehen Arbeiten von überraschender Lebendigkeit und Vielfalt. Alle Arbeiten, die in den vergangenen zwölf Jahren entstanden sind, können als Entwicklung - oder wie Rita Wilmesmeier es selbst ausdrückt, als "Spuren" - ihrer ursprünglichen künstlerischen Aussage gelesen werden. Es geht letztendlich immer um den Menschen. So tritt das Bild des Menschen nun im Zyklus ihrer Arbeit in den aktuellen Werken wieder konkreter hervor. Erstmals zeigte Rita Wilmesmeier Anfang dieses Jahres in Krefeld die 9-teilige Arbeit "Wandelbar", in der neun Varianten eines Frauengesichts zu sehen waren. Individualität erhalten die einzelnen Varianten dieser Arbeit durch transparente Farb-, Stoff- und Papierschichten, die mal mehr, mal weniger von dem darunter liegenden Gesicht sichtbar werden lassen. Farbe und Stoff machen aus dem ursprünglichen Frauengesicht, das jedem als gängiges Schönheitsideal vertraut ist, individuelle Darstellungen, die unterschiedlichste Ausdrucksweisen und Stimmungslagen wiedergeben. Für die aktuelle Ausstellung ‚parallel' entwickelte Rita Wilmesmeier diesen Ansatz weiter, in dem sie nun - ebenfalls als mehrteilige Arbeit - ein markantes Frauenportrait mittels überarbeiteter und bemalter Gewebe, teilweise mit unterschiedlicher Dichtigkeit und versteckt hinter Drahtkissen, die mit einer transparenten Kunststoffmasse behandelt sind, nur noch schemenhaft darstellt. Durch die unterschiedliche Behandlung des Gewebes, welches dem eigentliche Portrait vorgelagert ist, tritt dieses immer mehr in den Hintergrund und wird letztendlich nur noch als "Spur" des Ursprünglichen erahnbar.

Andreas Beumers, Kunsthistoriker